Abiturienten im Theater: „Sezuan 2.0“

Ist Theater heute aktuell?

50 Jahre neues und modernes Stadttheater in Ingolstadt, der „Hämer-Bau“ feiert Jubiläum im Januar 2016, und man könnte meinen, die neue und stolze Großstadt Ingolstadt feiert geschlossen mit. Wären da nicht finanzielle Sorgen, konkurrierende (?) Schulprojekte und auch die Frage nach dem Stellenwert von Bildung im Zusammenhang mit Theater!
Trotzig verweist aber Oberbürgermeister Dr. Lösel darauf, dass der Neubau der Kammerspiele im Klenzepark Teil einer Kulturmeile an der Donau sein werde, wenn der Hämer-Bau, im Kostenrahmen, saniert und renoviert sein wird sowie weitere Projekte umgesetzt sind.

Stadttheater Ingolstadt – Hämer-Bau

Mutig ruft Intendant Knut Weber das Motto der aktuellen Spielzeit („Nur Mut!“) aus, und das Programm sowie die einzelnen Aktivitäten des Ensembles und der Theaterleitung können sich in der Tat sehen lassen.

Neben dem „Jungen Theater“ und verschiedenen anderen Unternehmungen trifft dies nicht zuletzt auf den Spielplan zu, der neben Lessings „Nathan der Weise“ und Aischylos‘ „Die Perser“ auch Brechts wichtiges Parabelstück „Der gute Mensch von Sezuan“ ausweist.
Doch was wäre das große „Zauberwort“ von der „kulturellen Bildung“ der Kunstform Theater (Knut Weber) wert, wenn es nicht Niederschlag fände im Bildungsanspruch der Schule. Was heißen soll, dass hier junge Menschen mit dieser kulturellen Bildungsstätte in Beziehung gebracht werden können und sollen.

Spielplan Theater Ingolstadt

Diesem Anspruch versucht das Apian-Gymnasium dadurch gerecht zu werden, dass es z. B. im Deutschunterricht immer wieder die Dramen liest und bespricht, die im Theater zur Aufführung kommen.

So geschehen mit Brechts Stück „Der gute Mensch von Sezuan“, das dann – mit Textkenntnis – auf der Bühne gesehen und anschließend in Rezensionen beurteilt werden konnte.
Auch Entscheidungen der Regie, die in Spannung zum Text stehen, werden dann erkannt, bewertet und auch kritisiert: „Als Shen Te sieht, dass auch Kinder Objekte der Ausbeutung sind, missbraucht, arm, misshandelt, beschließt sie, dass sie kein Kind bekommen wird. Sie wird zum Mann. Und nach Shen Te fragt keiner mehr“, so Regisseur Donald Berkenhoff im Interview

„In der Ingolstädter Inszenierung werden die Szenen 7 und 10 stark gekürzt dargestellt. Szene 7 wird dabei, im Vergleich zu Brechts Text, deutlich verändert wiedergegeben. Zunächst findet Shen Te heraus, dass sie vom Flieger Yang Sun schwanger ist. Zudem wird ihr ein obdachloses Kind des Wasserverkäufers Wang gebracht. Angesichts dessen ist sie fest entschlossen, ihr eigenes Kind niemals hungern zu lassen. Um ihm ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, entschließt sie sich, für dieses Kind alles zu tun. Dies ist in der Ingolstädter Inszenierung nicht der Fall. Shen Te möchte hier das Kind abtreiben. Dies wird dargestellt, indem sie sich fest gegen den Bauch schlägt. Unterstützt wird dies durch laute Trommelschläge, wobei der Fokus völlig auf ihre Person gerichtet ist, welche im dunklen Saal stark angestrahlt ist. Nachdem das Stück Sezuan 2.0 heißt, soll die Aktualität in der Inszenierung des Parabelstückes eine wichtige Rolle spielen. Dabei könnte durch die Darstellung des obdachlosen Kindes die aktuelle Flüchtlingsproblematik angesprochen werden. Der Regisseur hätte durch die Darstellung des obdachlosen Kindes auf die katastrophale Situation der Flüchtlinge, größtenteils Kinder, und deren unzumutbare Lebenssituation hinweisen und das Publikum dadurch zum Nachdenken anregen können.“

(Marcus Keilwerth, Q12/D1)

„Das aus den 1930ern stammende Parabelstück wird in der Inszenierung am Stadttheater Ingolstadt an einigen Stellen abgewandelt und an unsere heutige Zeit angepasst. Die Verwendung von Smartphones und sozialen Medien, die überzeichnete Strenge und Genauigkeit des Polizisten, die Darstellung der Götter als nicht ernst zu nehmende, rauchende und Bier trinkende Männer und weitere komödiantische Elemente dürften ganz im Sinne von Brechts Definition des epischen Theaters sein. Allerdings bleiben dadurch leider auch manche politische Aussagen auf der Strecke. Abgesehen von der Forderung Allahs, keinen Krieg in seinem Namen zu führen, die das ganze Stück hinweg präsent ist, bleibt der Großteil des Stückes eher leichte Kost für den Zuschauer, der sich dabei prächtig unterhalten fühlt. Die Suche nach dem guten Menschen rückt jedoch durch das scheinbare Desinteresse schon bald in den Hintergrund. Dennoch wird durch die Doppelrolle des Shen Te und des Shui Ta deutlich, dass sich nur der Mann in der kapitalistischen und ausbeuterischen Gesellschaft durchsetzen kann. Diese Aussage wiederum wird unterstützt durch die komödiantische Darstellung der als Mann verkleideten Shen Te.“

(Magdalena Wenz, Q 12/D1)

Diese beiden Auszüge aus Schülerrezensionen des Brechtstückes können zeigen, wie Theater – kritisch betrachtet und vor dem Hintergrund von Textkenntnis - zur politischen und persönlichen Meinungs - Bildung der jungen Menschen beitragen kann.
Große Themen werden also auf dem Theater verhandelt, menschliche wie das „Glück“ (vgl. Foto 1), aber auch politische wie die Frage, ob „heute noch Rettung“ für die Menschheit möglich ist

Auffällig und damit herausfordernd für den Zuschauer bleibt die Beobachtung, dass auch im Ingolstädter Theater, wie im Alltag und in der Politik, Utopien kaum noch eine Chance zu haben scheinen. So gesehen in der radikal dekonstruierten Ingolstädter Version von Lessings „Nathan“ (Regie Marc Storman), wo die berühmte „Ringparabel“ zum lächerlichen Märchen dekonstruiert wird. Sichtbar aber auch in Brechts „Sezuan“ (Regie Donald Berkenhoff), wo der Utopie Brechts vom werdenden Menschen (Szene 7), verdeutlicht in dem noch nicht geborenen Kind der Shen Te, jegliche verändernde Kraft abgesprochen wird.

Plakat zu Lessing „Nathan der Weise“

Theater auf der Höhe der Zeit? Sicherlich, und damit bleibt gerade die Herausforderung an den kritischen Zuschauer bestehen, und die sollte dieser selbstbewusst annehmen! Und die Schule schafft Voraussetzungen dazu! Dann ist das Theater in der Tat ein Ort der Bildung.

Andreas Betz, StD

Diese Webseite verwendet Cookies. Durch die Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Datenschutzinformationen