"Wie wenige finden sich noch heutzutage, die so furchtlos Glauben und Wahrheit höher stellen als die Verlockungen dieser Welt!"
So äußerte sich vor genau vierhundert Jahren Professor Erhard Cellius, als er vor den Professoren der Tübinger Universität für seinen einstigen Kollegen und langjährigen Freund Philipp Apian die Totenrede hielt. Apian, Doktor der Medizin und Professor der Mathematik, war am 14. November 1589 in Tübingen verstorben und auf dem Friedhof der dortigen Stiftskirche beigesetzt worden. "Hab meines Glaubens Rechenschafft, mit gnädiger hilff und beystandt des Allmechtigen mehrmaln thun müssen, allerhand anstöss, Trübsal, Creuz und verfolgung darüber aussgestanden", schreibt Apian 1583 in einem Brief.
Ein Bekenner ist dieser Philipp Apian zeitlebens gewesen, obgleich nie ein Eiferer.
Der gebürtige lngolstädter, mit fast einundzwanzig Jahren Professor der Mathematik an der dortigen Hohen Schule, der bedeutendste Kartograph seiner Zeit, wird auf dem Höhepunkt seines Ruhmes 1569 aus der Vaterstadt verbannt. Für den überzeugten Protestanten ist im katholischen Herzogtum kein Platz. Das lutherische Tübingen wird ihm zur zweiten Heimat. Doch auch dort trotzt sein Gewissen neuem Zwang. Er weigert sich, durch eine Unterschrift die Calvinisten zu verdammen, und verliert Amt und Würden.
Die Epoche der Reformation und Gegenreformation, in der Philipp Apian lebte, war in Europa eine durch und durch religiöse Zeit. Den Völkern galt die Religion als heiligster Besitz, für den sie auch das eigene Blut zu opfern bereit waren. Wer sich an diesem Besitz vergreift, verhöhne nicht nur Gott, sondern zerstöre die von Gott gesetzte Ordnung. Für Fürsten, Könige und Kaiser war die Glaubenseinheit ihrer Untertanen nicht nur Quell des Friedens und der Stärke, sondern Befehl des Gewissens. Vernunft, die den Grenzstein des Glaubens versetzt, sei Satansgeist und Toleranz die Scheintugend der Ungläubigen. Daher der Widerstand eines ganzen Jahrhunderts gegen Nikolaus Kopernikus, der seit 1543, für jeden lesbar, die Erde sich bewegen läßt und zu einem unbedeutenden Planeten degradiert.
Aus der absoluten Gewissheit des eigenen Glaubens erwuchs eine Unduldsamkeit, die jedes andere Glaubensbekenntnis verdammte und in der Vernichtung des Ketzers Gottes elftes Gebot erahnte. Daher der Krieg aller gegen alle: Katholiken gegen Lutheraner, Lutheraner gegen Calvinisten, Calvinisten gegen Katholiken - ein Krieg, geführt mit Worten und mit Druckerschwärze, mit Kanonen und mit Schwertern, mit Scheiterhaufen, Galgen und Schafotten.
Die breite Masse hat die religiöse Barbarei genossen. Man denke an den Blutrausch, dem Paris in der Bartholomäusnacht des Jahres 1572 verfiel: Selbst die Kinder der Hugenotten (Calvinisten) wurden erschlagen, und aus toten Müttern wurde noch die Leibesfrucht geschnitten und geschändet. Der Leichnam des Hugenottenführers Coligny wurde an den Füßen aufgehängt und öffentlich zur Schau gestellt, nachdem man ihm die Hände und die Genitalien abgeschnitten und an die Meistbietenden verschachert hatte.
Deutschland blieb vor solcher Raserei verschont - dank der Zwänge der Politik. Der habsburgische Kaiser Karl V. hätte die Lutheraner gern Mores gelehrt, hätte er im Reich dieselbe Macht gehabt, die er in Spanien besaß. Zu stark waren die Fürsten, zu viele hatten, wenn auch nicht nur aus Glaubensgründen, die neue Lehre angenommen und in Schmalkalden (1531) gegen Karl den Waffenbund geschworen. Solange überdies der Sultan und der Franzosenkönig nicht müde wurden, des Kaisers Stellung zu erschüttern, war Luthers Sache nicht gefährdet. Zwar ließen bald nach Luthers Tod der Kaiser und die Ketzer die Waffen doch noch klirren (Schmalkaldischer Krieg 1546/47), am Ende aber siegte die Vernunft: In Augsburg wurde 1555 der Friede geschlossen.
Die wahren Sieger sind die Fürsten, die Lutheraner wie die Katholiken. Sie erlangen Freiheit des Gewissens und das Recht, dem Gewissen ihrer Untertanen zu befehlen. Wen das Gewissen daran hindert, dem Bekenntnis seines Landesherrn zu folgen - dem Mut zur Auswanderung steht nichts im Wege.
Währenddessen tagte in Trient noch immer das Konzil (1545-1563). Es gibt der Welt die erhoffte Glaubenseinheit nicht zurück, aber das alte, von der protestantischen Flut getroffene Schiff der Kirche wirft eine Menge Ballast über Bord und ist bereit zum Gegenangriff. Die Bannerträger des Katholizismus sind auf dem Konzil die Jesuiten, entschlossen, zum Kreuzzug gegen den Unglauben anzutreten, und gerüstet mit den Waffen des Geistes, nicht des Blutes. Den Kampf um die Seele führen sie mit Beichtstuhl, Kanzel, Schule. Sie wenden sich vor allem an die Jugend und formen eine Elite, deren Glauben nichts erschüttern kann, und die durch Gehorsam reif geworden ist zur Kunst des Befehlens. So gründen sie Kollegien (höhere Bildungsanstalten), erobern, wo es geht, die alten Universitäten und eröffnen neue.
In Deutschland führt den Kreuzzug Petrus Canisius an. Nach Ingolstadt kommt der Niederländer 1549 - sechs Jahre nach dem Tod von Eck - begleitet von zwei Mitbrüdern. Herzog Wilhelm IV. (1508-1550) hatte den Orden um die Mission gebeten, hatte doch Luthers Lehre auch an Altbayerns Grenzen nicht haltgemacht. Drei Jahre später geht Canisius nach Wien, um das schon fast verlorene Österreich für den Katholizismus wiederzugewinnen.
Bayern aber wird unter Wilhelms Sohn Albrecht V. (1550-1579) zur Säule der Gegenreformation im Reich. Albrecht setzt ganz auf die Jesuiten. 1556 kommen sie erneut nach Ingolstadt und führen die Hohe Schule nicht nur zu neuer Blüte: Sie wird die führende katholische Universität im Reich. Und der Herzog meint es ernst mit den Beschlüssen des Konzils. Auf diese fordert er den Eid von Staatsbeamten und von Professoren. Wer ihn nicht leistet, muss, wie Philipp Apian, das Land verlassen.
Am 14. September 1531 wurde dem Ingolstädter Mathematikprofessor Peter Apian und seiner Frau Katharina als viertes von insgesamt 14 Kindern der Sohn Philipp geboren. Philipps Mutter war die Tochter eines Landshuter Schuhmachers, der Vater stammte aus Leisnig in Sachsen und hatte, wie es damals in Humanistenkreisen üblich war, seinen Familiennamen Bienewitz latinisiert (Biene = apis). Philipps Geburtshaus steht noch heute in der Harderstraße (Kaisheimer Haus). Der Vater hatte es von den Franziskanern gekauft und darin eine Druckerwerkstatt eingerichtet.
Mathematische und astronomische Werke gingen von hier aus in die gelehrte Welt und machten den Namen Apian berühmt. 1540 - drei Jahre vor Kopernikus - erscheint sein "Astronomicum Caesareum", das letzte große Werk auf der Grundlage des geozentrischen Weltsystems, und Peter Apian widmet es Karl V. Der Kaiser schenkt ihm 3000 Goldgulden, ernennt ihn zum Hofmathematikus und erhebt ihn in den Adelsstand. Philipp hat die Begabung seines Vaters. Mit elf Jahren beginnt er das Studium der Mathematik an der Hohen Schule. Und der junge Studiosus fühlt sich wohl in dieser Stadt, die immer noch den Dr. Eck und schon den Drucker Weißenhorn zu ihren Bürgern zählt.
Das Ingolstadt des 16. Jahrhunderts war eine schöne Stadt mit lange hingezogenen Plätzen, wie es noch heute das 1573 vollendete Modell des Jakob Sandtner dem Betrachter wiedergibt. Seit 1537 wird die Stadt in einen Festungsgürtel mit Erdwall, Rundbasteien und Kasematten eingeschlossen (1800 auf Befehl Napoleons geschleift). Die Entwicklung der Geschütze und die Politik ließen Ingolstadt zur Landesfestung werden. Der Herzog will es ihnen zeigen, den Protestanten, Habsburgern und Türken, dass Bayern am liebsten Bayern bleibt.
Der erste Nutznießer der Festung ist freilich Karl V. Im Schmalkaldischen Krieg schlägt er im August 1546 an der Schutter ein festes Lager auf, die Stadt deckt ihm den Rücken. Am 26. sind die Schmalkaldener da. Um Karl zu einer Feldschlacht zu bewegen, beschließen sie die Beschießung seines Lagers. Doch dieser treibt seelenruhig seine Studien - nicht ohne seinen Apian. Des öfteren muss sich der Hofmathematiker aus der sicheren Stadt in das kaiserliche Zelt begeben, so auch am 30., begleitet vom fast fünfzehn Jahre alten Sohn. Da eröffnen die Schmalkaldener das Bombardement und senden 2768 Kugeln gegen Stadt und Lager. Vater Apian zuckte und duckte sich, der Kaiser aber ließ sich nicht erschüttern, fasziniert von den mathematischen Kenntnissen des jungen Philipp. Und sie zu rühmen hörte Karl auch dann nicht auf, als eine vierpfündige Kugel das kaiserliche Zelt durchschlug, die - gottlob! - niemanden verletzte.
Mit achtzehn Jahren verlässt Philipp die Vaterstadt in Richtung Straßburg. Drei Jahre studierte er in Burgund, Paris und Bourges. Anfang März 1552 sieht ihn die Heimat wieder. Hier wird er Zeuge, wie Canisius das Schiff nach Wien besteigt - nicht ohne Tränen der Professoren und des Volkes.
Im April stirbt Peter Apian. Philipp verliert den Vater, die Hohe Schule ihren berühmtesten Professor. Und als Senat und Herzog über den Nachfolger beraten, fällt ihnen der Entschluss nicht schwer: Es ist der Sohn des großen Apian. Einundzwanzig Jahre jung! Und der Professor lehrt nicht nur, er lernt, sitzt mitten unter den Studenten: Neben der Mathematik hat es die Medizin ihm angetan - Bologna wird ihm später (1564) den Doktorhut verleihen.
1554 aber erhält er mit dreiundzwanzig Jahren jenen Auftrag, der seinen Namen in Bayern unvergessen machen wird. Der Auftraggeber ist der Herzog. Albrecht V. vereint mit seinem Eifer für den Glauben die Liebe zu Wissenschaft und Künsten. Die Hofbibliothek legt er an, die Kunstgalerie des Antiquariums, und kein Geringerer als Orlando di Lasso dirigiert die Hofkapelle.
Albrechts Bayern kann sich sehen lassen, und so will er es auch präsentieren. Daher der Auftrag an den Straubinger Drechslermeister Sandtner, die Residenzstädte (München, Straubing, Landshut, Ingolstadt, Burghausen) zu modellieren, daher der Auftrag an den jungen Apian, das Herzogtum kartographisch zu erfassen.
1554 beginnt Philipp das Werk. Begleitet von einem Zeichner und einem Pferdeknecht, durchreitet er "in die 6 oder schier 7 summerzeit" das Land, steigt auf Kirchtürme und Berge und vermisst mit Instrumenten und Methoden, die großenteils der Vater und er selbst entwickelt haben: Sonnenuhr, Jakobsstab, Astrolab, Theodolit, Armillarsphäre, Quadrant und noch mehr. Die Namen sind exotisch und wären noch heute einer Doktorarbeit würdig. Und Philipp vermisst nicht nur. Er notiert sich stichpunktartig, was von Siedlungen und Landschaft ihm erwähnenswert erscheint. Eine "Beschreibung" Topographie) Bayerns soll die Karte noch ergänzen: "Dorf Gerlfing, Kirche und Edelssitz, in einer weiten Ebene. Zwischen Gerlfing und Ingolstadt liegt an der Donau ein Wäldchen, heißt Rotngries, ein sehr schöner Auwald. An der Schuter gibt es sehr viele Mühlen" ist ein Beispiel unter vielen.
Philipp lernt nicht nur das Land, sondern auch die Leute kennen. Und sie werden nicht viel anders gewesen sein als sie ein paar Jahrzehnte früher der Historiker Aventin zu schildern weiß: "Das baierische Volk ist kirchlich, schlecht und recht, geht und läuft gerne wallfahrten, legt sich mehr auf den Ackerbau und die Viehzucht als auf den Krieg, dem es nit sehr nachläuft; bleibt gerne daheim; trinkt sehr, macht viel Kinder; ist etwas unfreundlicher und eigensinniger, wie es geht bei Leuten, die nit viel hinauskommen, gern daheim alt werden; schreit, singt, tanzt, kartet, spielt, mag Wehr tragen, Schweinsspieß und lange Messer."
In Rosenheim begegnet Philipp der Tochter eines Kastners, Sabina Scheuchenstuel, die bald seine Frau wird.
1561 ist die Vermessung beendet. Dann arbeitet er die große Karte aus (5 x 5 m, Maßstab 1:45 000), die von dem Münchener Maler Bartel Refinger "mit farben gar lieblich ausgestrichen wird". Seit 1563 schmückt das Prunkstück die Bibliothek der Residenz. Albrecht ist so angetan, dass er seinem Apian zeitlebens 150 Gulden jährlich zahlt.
Und in der Tat, kein Regierender der Welt hatte eine so genaue Karte von seinem Territorium wie er. Dennoch gibt sich Philipp nicht zufrieden. Nicht nur der Herzog, sondern alle sollen die Früchte seiner Arbeit ernten. Nach der großen Karte erstellt er in kleinerem Maßstab (1:144 000) einen Holzschnitt, dem der beste Zeichner dieser Zeit, Jost Amman, mit Ornamentumrahmung, Wappen, Schmuckbuchstaben höchste künstlerische Qualität verleiht.
Philipp vervielfältigt das Ganze in der eigenen Druckerei als Kartenwerk. So entstehen die 24 "Bayerischen Landtafeln". Philipp konnte nicht ahnen, was er damit der Nachwelt gegeben hat, nachdem die große herzogliche Karte 1782 dem Feuer zum Opfer fiel. Noch Napoleon benutzt die Landtafeln, als er mit seinen Truppen in Bayern einmarschiert. Erst das 19. Jahrhundert wird Apian an Genauigkeit überbieten.
1568 nimmt Albrecht das erste Exemplar der Landtafeln in Empfang, und Philipp hätte der herzoglichen Gunst für immer gewiß sein können, wäre er nur bereit gewesen, die Beschlüsse des Konzils zu unterschreiben. "Wir khenen und wellen dich auch, umb souil weniger weder alda, noch annder ortten In unnserm Landt leiden", schreibt Albrecht 1569 an den Verbannten. Und Philipp "fiel es schwer, aus der so geliebten Vaterstadt verbannt zu werden" (Cellius).
In Tübingen verliert er nach vierzehn Jahren aus ähnlichen Gründen erneut die Professur, behält aber doch wenigstens das Zuhause. Trost findet er in seinem Töchterchen Sabina - sie ist des Vaters ganzer Stolz -, Trost findet er in Studium und Arbeit. Und er arbeitet noch viel! Als seine Gattin ihn bat, er möge doch den Lebensabend der Muße widmen, gab Philipp ihr zur Antwort: "Liebste Sabina, wir alle müssen so studieren und arbeiten, als hätten wir das ewige Leben, aber so leben und beten, als müßten wir noch heute sterben."
Dr. Werner Karl , Studiendirektor i. R.
Lehrer für Latein und Geschichte am Apian-Gymnasium