Marieluise Fleißer

Leben und Werk einer berühmten Schanzerin

Ingolstadt. Es war, als sei sie nur kurz nach oben verschwunden, mit ihrer Brille, ihren klugen Gedanken und ihrem eigenen Schreibstil: In seiner Führung durchs Fleißer-Haus ließ Andreas Betz, der Vorsitzende der Marieluise-Fleißer-Gesellschaft in Ingolstadt, die große deutsche Schriftstellerin lebendig werden. Neben der Vorsitzenden Brigitte Krach durften einige Mitglieder vom Freundeskreis des Apian Gymnasium in seiner Begleitung das Leben und Werk der berühmten Schanzerin entdecken.

Haus Nr. 18

Vor dem Haus Nummer 18 in der zentral gelegenen Kupferstraße beginnt Andreas Betz seinen Streifzug durch ein Stück deutscher Literaturgeschichte. In dem Gebäude aus der Zeit des Münsterbaus wurde im Oktober 2020 die neue Fleißer-Ausstellung eröffnet. Doch wegen Corona war der Publikumsverkehr bisher stark eingeschränkt. Das hat sich geändert: Dienstags bis freitags ist das Haus zwischen 9 und 12 Uhr geöffnet, an Samstagen, Sonn- und Feiertagen von 10 bis 16 Uhr.

Streifzug durch dt. Literaturgeschichte

Betz startet in der vollständig erhaltenen, rustikalen Schmiedewerkstatt im Erdgeschoss, in dem der Vater und Großvater von Marieluise und ihren Geschwistern arbeiteten. Später folgt er dem, wie er sagt, teils thematischen, teils chronologischen Konzept der modernen Darstellung im ersten Stock. Optisch, akustisch und visuell in digitaler und analoger Weise würden hier die Themenbereiche behandelt, erklärt Betz. Da gibt es einen Film und Hörbeispiele, aber auch viele Fotografien, Texte und Briefe. Im Flur sind bunte Designs an den Wänden abgebildet. Das seien Muster von Stoffen, die in Fleißers Nachlass gefunden wurden, erklärt Andreas Betz. Dass die „Fleißerin“, auch wenn sie wenig Geld hatte, für Knöpfe und Stoff nach München gefahren ist und großen Wert auf passende Kleidung gelegt hat, erfahren die Besucher.

Die Männer in Fleißers Leben nehmen buchstäblich einen größeren Raum ein. Der unterstützende Vater, der Marieluise Abitur machen ließ und wollte, dass sie Mittelschullehrerin wird. Der Ingolstädter Tabakhändler Bepp Haindl, mit dem die Schriftstellerin sicher, aber unglücklich verheiratet war. Der Wahl-Pappenheimer Hellmut Draws-Tychsen, in den sie sich verliebte, „leider, denn er war ein psychopathischer Typ, aber wo die Liebe hinfällt“, stellt Betz pragmatisch fest. Lion Feuchtwanger, den Schriftstellerfreund. Oder Bertolt Brecht, der ihr Stück „Pioniere in Ingolstadt“ so bekannt, aber gleich bei der Premiere in Berlin durch eigene Zuspitzungen zu einem Skandal machte. Ihre Zöglinge, darunter Rainer Maria Fassbinder und Franz Xaver Kroetz, begegnen den Besuchern im Raum „Anerkennung“.

Wie aktuell Marieluises Werk noch heute ist, zeigt der ehemalige Deutschlehrer des Apian-Gymnasiums am Beispiel von „Der Tiefseefisch“. Das Stück entsteht aus dem Konflikt zwischen der Loslösung vom „Brechtkreis“ und der Hinwendung zu Draws und der Rolle, die Frauen hier spielen „dürfen“. „In Zeiten von #meetoo ist das ein ganz aktuelles Stück“, sagt Betz. Auch auf die Erzählung „Die im Dunkeln“ von 1965 weist er hin, wo die Schriftstellerin ihren Aufenthalt in der privaten Nervenklinik Neufriedenheim bei München im August 1938 verarbeitet und andeutet, dass dort Juden vor den Nazis geschützt wurden.

Andreas Betz selbst hat Fleißer 1971 bei einem Besuch des Ingolstädter Stadttheaters für sich entdeckt. Kurz vor seinem Abitur sah der gebürtige Köschinger damals eine Aufführung von „Fegefeuer in Ingolstadt“. Zwei Jahre später stieß er als Student in Würzburg auf den damals neu erschienen Materialienband zu Fleißers Werk, den er sofort kaufte. Seither ließ ihn die Schriftstellerin nicht mehr los.

Kenntnisreich und mit vielen persönlichen Details spickt der Studiendirektor in Ruhestand seine Führung durch das Haus, das in seiner Gestaltung und Aufbereitung dazu einlädt, länger zu bleiben. Viel zu schnell ist die Zeit um und letzte Fragen werden gestellt. Was bleibt, ist der Eindruck einer starken, klugen Frau und der feste Vorsatz, möglichst bald wiederzukommen in das Haus der Fleißerin.

Maja Wagener
Bilder von Thorsten Ladda

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